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3.6 Irreduzibilitätskriterien

In der Regel ist es schwierig zu überprüfen, ob ein gegebenes Polynom mit Koeffizienten in einem Körper irreduzibel ist.

Für Polynome von kleinem Grad ist die Irreduzibilität an die (Nicht-)Existenz von Nullstellen geknüpft, genauer gilt:

Bemerkung 3.51 Einfache Irreduzibilitätskriterien

Sei \(K\) ein Körper.

  1. Jedes Polynom in \(K[X]\) vom Grad \(1\) ist irreduzibel. (Denn der Grad eines Produkts ist die Summe der Grade der Faktoren, also können Polynome vom Grad \(1\) keine Zerlegung als Produkt nicht-konstanter Polynome haben.)

  2. Ein Polynom \(f\in K[X]\) mit \(2\le \deg (f)\le 3\) ist genau dann irreduzibel, wenn es keine Nullstelle in \(K\) besitzt. Denn in einer Zerlegung \(f=gh\) mit \(\deg (g) {\gt} 0\), \(\deg (h) {\gt} 0\) muss (mindestens) einer der Faktoren \(g,h\) Grad \(1\) haben. Andererseits ist jedes Polynom vom Grad \({\gt} 1\), das eine Nullstelle \(\alpha \in K\) besitzt, reduzibel, weil der zugehörige Linearfaktor \(X-\alpha \) ein nicht-trivialer Teiler ist.

Ein weiteres Kriterium, das leicht zu begründen ist, ist, dass die Eigenschaft irreduzibel invariant ist unter Isomorphismen: Ist \(K\) ein Körper und \(\varphi \colon K[X]\to K[X]\) ein \(K\)-Algebren-Automorphismus, dann ist \(f\in K[X]\) genau dann irreduzibel, wenn \(\varphi (f)\) irreduzibel ist. (Es ist nicht schwer zu zeigen, dass die Automorphismen \(\varphi \) genau die Abbildungen mit \(X\mapsto aX+b\) für \(a,b\in K\), \(a\ne 0\), sind.) In Beispiel 3.55 kommt diese Überlegung zum Einsatz.

Mit dem folgenden Reduktionskriterium lässt sich die Irreduzibilität eines Polynoms \(f\in R[X]\) mit Koeffizienten in einem faktoriellen Ring \(R\) zeigen, indem man die Reduktion von \(f\) modulo Primelementen \(p\) betrachtet. Ein typisches Beispiel, in dem wir das Kriterium später anwenden werden, ist \(R=\mathbb Z\), \(p\) eine Primzahl. Man beachte, dass im allgemeinen der Ring \(R/(p)\) nicht wieder faktoriell sein muss (vergleiche Beispiel 3.41 (2)), aber das wird auch nicht benötigt.

Satz 3.52 Reduktionskriterium

Sei \(R\) ein faktorieller Ring mit Quotientenkörper \(K\), sei \(p\in R\) ein Primelement und sei \(f = \sum _{i=0}^n a_iX^i\in R[X]\) ein Polynom vom Grad \(n {\gt} 0\), so dass \(a_n\) nicht von \(p\) geteilt wird. Wenn das Bild von \(f\) in \((R/(p))[X]\) irreduzibel ist, dann ist \(f\) irreduzibel in \(K[X]\).

Wird zusätzlich \(f\) als primitiv vorausgesetzt, so folgt, dass \(f\) in \(R[X]\) irreduzibel ist.

Beweis

Wir betrachten zunächst den Fall, dass \(f\) primitiv ist und zeigen, dass dann \(f\) in \(R[X]\) irreduzibel ist.

Angenommen, wir könnten \(f\) zerlegen als \(f=gh\) mit \(g,h\in R[X]\) Der Leitkoeffizient \(a_n\) von \(f\) ist das Produkt der Leitkoeffizienten von \(g\) und \(h\). Die Voraussetzung impliziert also, dass diese beiden Leitkoeffizienten nicht durch \(p\) geteilt werden. Mit anderen Worten: Wenn wir mit \(\operatorname{red}_p(f)\), \(\operatorname{red}_p(g)\), \(\operatorname{red}_p(h)\) die Polynome bezeichnen, die aus \(f\), \(g\) bzw. \(h\) durch Reduktion der Koeffizienten mit der kanonischen Projektion \(R\to R/(p)\) entstehen, dann haben diese jeweils denselben Grad wie das ursprüngliche Polynom. Weil die Reduktion der Koeffizienten ein Ringhomomorphismus ist, erhalten wir die Zerlegung \(\operatorname{red}_p(f) = \operatorname{red}_p(g)\, \operatorname{red}_p(h)\). Weil \(\operatorname{red}_p(f)\) nach Voraussetzung irreduzibel ist, muss einer der Faktoren in dieser Zerlegung eine Einheit sein und daher Grad \(0\) haben. Ohne Einschränkung können wir annehmen, dass \(\deg (g)=\deg (\operatorname{red}_p(g)) = 0\) ist. Dann ist \(g\) ein konstantes Polynom, und das Element \(g\in R\) ist ein gemeinsamer Teiler aller Koeffizienten von \(f\). Weil \(f\) primitiv ist, folgt \(g\in R^\times \). Wir haben gezeigt, dass in jeder Produktzerlegung von \(f\) einer der Faktoren eine Einheit ist. Also ist \(f\) irreduzibel.

Im allgemeinen Fall ist \(f\) ein Produkt eines Elements aus \(R\) mit einem primitiven Polynom \(\tilde{f}\), das die Voraussetzungen des Satzes ebenfalls erfüllt. Mit dem obigen Argument sehen wir, dass \(\tilde{f}\) in \(R[X]\) und damit (nach dem Satz von Gauß) auch in \(K[X]\) irreduzibel ist. In \(K[X]\) sind aber \(f\) und \(\tilde{f}\) assoziiert zueinander, so dass auch die Irreduzibilität von \(f\) als Element von \(K[X]\) folgt.

Das nächste Irreduzibilitätskriterium, das in den Fällen, in denen es anwendbar ist, noch einfacher ist als das Reduktionskriterium, ist benannt nach G. Eisenstein und beruht ebenfalls auf der Betrachtung eines Primelements \(p\) in einem faktoriellen Ring.

Satz 3.53 Irreduzibilitätskriterium von Eisenstein

Seien \(R\) ein faktorieller Ring und \(K\) sein Quotientenkörper, sei \(p\in R\) ein Primelement und sei \(f = \sum _{i=0}^n a_i X^i\in R[X]\) ein Polynom vom Grad \(n {\gt} 0\). Es gelte

\[ p\nmid a_n,\qquad p\, |\, a_i,\ i=0,\dots , n-1,\qquad p^2\nmid a_0. \]

Dann ist \(f\) irreduzibel in \(K[X]\). Ist das Polynom \(f\) zusätzlich primitiv, so ist es auch irreduzibel in \(R[X]\).

Beweis

Sei zunächst \(f\) primitiv. Dann gibt es keine Zerlegung von \(f\) als Produkt in \(R[X]\) mit einem Faktor in \(R\setminus R^\times \).

Angenommen, \(f=gh\) wäre eine Zerlegung von \(f\) in \(R[X]\) mit \(\deg (g) {\gt} 0\), \(\deg (h) {\gt} 0\). Wir wenden wieder Reduktion der Koeffizienten modulo \(p\) an. Sei \(\pi \colon R\to R/(p)\) die kanonische Projektion. Die Voraussetzung impliziert \(\operatorname{red}_p(f) = \pi (a_n) X^{\deg (f)}\). Es gilt also

\[ \operatorname{red}_p(g)\operatorname{red}_p(h) = \operatorname{red}_p(f) = \pi (a_n) X^{\deg (f)}. \]

Zwar ist \((R/(p))[X]\) nicht unbedingt faktoriell, aber jedenfalls ist \(X\) ein Primelement in diesem Ring (wegen Lemma 3.17, denn \((R/(p))[X]/(X) \cong R/(p)\) ist ein Integritätsring). Weil \(X\) das Produkt \(\operatorname{red}_p(g)\operatorname{red}_p(h)\) teilt, teilt \(X\) einen der Faktoren. Indem wir \(X\) »ausklammern« und dann induktiv fortfahren, sehen wir, dass \(\operatorname{red}_p(g) = c X^i\) und \(\operatorname{red}_p(h) = dX^j\) mit \(c,d\in R/(p)\), \(i, j\in \mathbb N\), gilt. (Alternativ kann man die Zerlegung im Polynomring über dem Quotientenkörper von \(R/(p)\) betrachten, der in jedem Fall faktoriell ist.)

Nun gilt \(\deg (\operatorname{red}_p(g)) \le \deg (g)\), entsprechend für \(h\), und so folgt, dass \(i = \deg (g) {\gt} 0\) und \(j = \deg (h) {\gt} 0\) gilt.

Die Absolutkoeffizienten von \(g\) und \(h\) sind also beide durch \(p\) teilbar. Das ist aber ein Widerspruch zu der Voraussetzung \(p^2\nmid a_0\). Also ist \(f\) irreduzibel in \(R[X]\) und in \(K[X]\).

Im allgemeinen Fall können wir \(f\) durch das Polynom \(d^{-1} f\) ersetzen, wo \(d\) ein größter gemeinsamer Teiler der Koeffizienten von \(f\) ist, um die Irreduzibilität in \(K[X]\) zu zeigen. Weil \(p\nmid a_n\) gilt, haben wir auch \(p\nmid d\), so dass diese Ersetzung nichts an den Bedingungen bezüglich der Teilbarkeit der Koeffizienten durch \(p\) ändert. Wir können uns somit auf den Fall einschränken, dass \(f\) primitiv ist, den wir bereits behandelt haben.

Beispiel 3.54
  1. Sei \(a\in \mathbb Z\) eine ganze Zahl, so dass eine Primzahl \(p\) existiert, die \(a\) teilt, aber so dass \(p^2\) kein Teiler von \(a\) ist. Dann ist für jedes \(n\in \mathbb N_{{\gt}0}\) das Polynom \(X^n-a\) irreduzibel in \(\mathbb Q[X]\) (und sogar in \(\mathbb Z[X]\)). Dies folgt aus dem Eisenstein-Kriterium für den faktoriellen Ring \(\mathbb Z\), angewandt auf das Primelement \(p\).

  2. Sei \(k\) ein Körper und \(R = k[T]\) der Polynomring über \(k\) in der Unbestimmten \(T\). Sei \(K\) der Quotientenkörper von \(R\). (Wir schreiben auch \(K = k(T)\) und nennen \(K\) den Körper der rationalen Funktionen in \(T\) über \(k\).) Dann ist das Polynom \(X^n-T\) irreduzibel in \(K[X]\) (und auch in \(R[X]\)). Dies folgt aus dem Eisenstein-Kriterium für den faktoriellen Ring \(R\), angewandt auf das Primelement \(T\).

Beispiel 3.55

Sei \(p\) eine Primzahl. Dann ist das Polynom

\[ f = X^{p-1} + X^{p-2} + \cdots + X + 1 \in \mathbb Q[X]\quad \text{irreduzibel}. \]

Zwar ist hier das Eisenstein-Kriterium nicht direkt anwendbar, aber wir können uns mit dem folgenden Trick behelfen. Wir betrachten den \(K\)-Automorphismus \(K[X]\to K[X]\), \(X\mapsto X+1\). (Der Umkehrhomomorphismus ist gegeben durch \(X\mapsto X-1\).) Es genügt dann zu zeigen, dass \(f(X+1)\) irreduzibel ist. Nun haben wir (mit der »endlichen geometrischen Reihe« die folgenden Rechnungen finden im Quotientenkörper von \(K[X]\) statt)

\[ f = \frac{X^p-1}{X-1}, \]

also

\[ f(X+1) = \frac{(X+1)^p-1}{(X+1)-1} = \frac{(X+1)^p -1}{X} = \sum _{i=1}^p \binom {p}{i} X^{i-1}, \]

wobei wir zum Schluss den binomischen Lehrsatz benutzt haben. Es gilt \(\binom {p}{p} = 1\), \(p\, |\, \binom {p}{i}\) für \(i = 1, \dots , p-1\) (vergleiche Beispiel 3.2 (2)), und \(p^2\nmid p = \binom {p}{1}\), so dass für das Polynom \(f(X+1)\) die Voraussetzungen des Eisensteinschen Kriteriums über dem Ring \(\mathbb Z\) und für das Primelement \(p\) erfüllt sind.

Beispiel 3.56

Nicht in jedem Fall lässt sich die Irreduzibilität eines Polynoms (etwa in \(\mathbb Z[X]\)) durch Reduktion modulo geeigneter Primelemente zeigen. Zum Beispiel ist das Polynom \(X^4+1\) zwar irreduzibel in \(\mathbb Z[X]\) (das lässt sich leicht nachrechnen), aber seine Reduktion modulo \(p\) ist für jede Primzahl \(p\) reduzibel (das ist nicht ganz so leicht – siehe  [ JS ] Beispiel IV.4.10).