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3.8 Das Primspektrum eines Rings *

An dieser Stelle könnte man noch wesentlich mehr schreiben, aber für den Moment belasse ich es bei einigen Andeutungen und Verweisen auf die Literatur…

In der Kommutativen Algebra ist ein wesentliches Hilfsmittel zum Studium eines Rings \(R\) die Untersuchung des sogenannten Primspektrums (oder: Spektrums) \(\operatorname{Spec}(R)\) von \(R\), das ist die Menge der Primideale von \(R\).

Dabei wird diese Menge mit zusätzlicher Struktur versehen, zunächst mit der Struktur eines »topologischen Raums«, was man sich als Grundform einer »geometrischen Struktur« vorstellen sollte.

In der Algebraischen Geometrie wird dieser Standpunkt noch weiter auf die Spitze getrieben, in dem Sinne als das Spektrum \(X=\operatorname{Spec}(R)\) als das Objekt des hauptsächlichen Interesses gesehen wird – denn hier handelt es sich um ein »geometrisches Objekt« – und der Ring dann als der Ring der »Funktionen auf \(X\)« aufgefasst wird.

Ein Prototyp dieser Korrespondenz ist am Beispiel des Polynomrings \(K[X]\) über einem algebraisch abgeschossenen Körper \(K\) sichtbar. Die Primideale im Hauptidealring sind neben dem Nullideal die maximalen Ideale, und dies sind gerade die von irreduziblen Polynomen erzeugten Ideale. Über einem algebraisch abgeschlossenen Körper hat jedes irreduzible Polynom Grad \(1\), es gilt daher

\[ \operatorname{Spec}(K[X]) = \{ (0)\} \cup \{ (X-a);\ a\in K\} . \]

Bis auf das Nullideal, dessen Rolle wir an dieser Stelle nicht klären wollen, stehen also die Elemente des Spektrums in Bijektion zu den Elementen von \(K\), also zum eindimensionalen Standardvektorraum. Der (nicht ganz einfache) Hilbertsche Nullstellensatz besagt, dass die maximalen Ideale im Polynomring \(K[X_1, \dots , X_n]\) über einem algebraisch abgeschlossenen Körper \(K\) genau die Ideale der Form \((X_1-a_1,\dots , X_n-a_n)\), \((a_i)_i\in K^n\), sind. Wir erhalten also eine Bijektion zwischen den maximalen Idealen in \(K[X_1,\dots , X_n]\) und dem \(n\)-dimensionalen Standardvektorraum \(K^n\).

Sei weiter \(K\) algebraisch abgeschlossen. Ausgehend vom Hilbertschen Nullstellensatz ist es leicht zu sehen, dass für eine Polynomgleichung, wie zum Beispiel \(y^2 = x^3\) eine Bijektion zwischen der Menge der maximalen Ideale im Quotienten \(K[X, Y]/(Y^2-X^3)\) und der Nullstellenmenge

\[ V(Y^2-X^3, K) = \{ (x,y)\in K^2;\ y^2 = x^3 \} \]

besteht. Siehe die Abbildung, in der wir aber nur ein Bild für den (nicht algebraisch abgeschlossenen) Körper \(\mathbb R\) der reellen Zahlen angeben können.

Es ist faszinierend, dass sich dann geometrische Eigenschaften dieser Nullstellenmenge (wie die »Spitze« am Ursprung, wo die gezeichnete Kurve auch bei starker Vegrößerung nicht »wie eine Gerade aussieht«) in algebraischen Eigenschaften des Rings \(K[X, Y]/(Y^2-X^3)\) widerspiegeln (konkret: dass dieser Ring nicht faktoriell ist).

\begin{tikzpicture}  \begin{axis} [ xmin=-1.8,xmax=3.8, ymin=-7,ymax=7, axis x line=middle, axis y line=middle ] \addplot [ultra thick, domain=-3:3,samples=50]({x^2},{x^3}); \end{axis} \end{tikzpicture}
Die Menge \(\{ (x, y)^t\in \mathbb R^2;\ y^2 = x^3 \} \)
Der Zusammenhang zwischen dem Ring \(K[T^2, T^3]\) und der Gleichung \(y^2 - x^3 = 0\) kommt daher, dass die Abbildung \(K[X,Y] \to K[T]\), \(X\mapsto T^3\), \(Y\mapsto T^2\), ein Ringhomomorphismus mit Bild \(K[T^2, T^3]\) und Kern \((Y^2-X^3)\) ist.

Wie gesagt ist die Bedeutung der nicht-maximalen Primideale hier im Dunkeln geblieben. Sie ist aber wesentlich für den modernen Aufbau der algebraischen Geometrie, der auf Alexander Grothendieck zurückgeht und sowohl die »klassische« algebraische Geometrie beflügelt als auch eine enge Verbindung zwischen algebraischer Zahlentheorie und algebraischer Geometrie geführt hat, ohne die die meisten großen Durchbrüche in der algebraischen Zahlentheorie in den letzten Jahrzehnten (zum Beispiel der Beweis der Taniyama-Shimura-Weil-Vermutung durch Wiles und Taylor, aus der sich der Beweis der Fermatschen Vermutung ergibt) undenkbar gewesen wären.