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A.1 Gruppen

A.1.1 Gruppenwirkungen

Definition A.1

Seien \(G\) eine Gruppe und \(X\) eine Menge. Eine Wirkung (oder: Operation) ist eine Abbildung

\[ G\times X\to X, (g,x)\mapsto g\cdot x, \]

die die folgenden Eigenschaften hat:

  1. \((gh)\cdot x = g\cdot (h\cdot x)\) für alle \(g,h\in G\) und alle \(x\in X\),

  2. \(1\cdot x=x\) für alle \(x\in X\) (wobei \(1\in G\) das neutrale Element bezeichne).

In äquivalenter Weise können wir eine Wirkung von \(G\) auf \(X\) als einen Gruppenhomomorphismus \(\varphi \colon G\to \operatorname{Bij}(X)\) betrachten; die Beziehung zwischen den beiden Sichtweisen ist durch \(\varphi (g)(x) = g\cdot x\) gegeben. Oft schreibt man statt \(g\cdot x\) auch einfach \(gx\) (oder benutzt gegebenenfalls ein anderes Symbol).

Definition A.2

Sei \(G\times X\to X, (g,x)\mapsto gx\) eine Gruppenwirkung.

  1. Die Bahn (oder: der Orbit) eines Elements \(x\in X\) unter der Gruppe \(G\) ist die Teilmenge

    \[ Gx := \{ gx;\ g\in G\} \subseteq X. \]
  2. Der Stabilisator eines Elements \(x\) ist die Untergruppe

    \[ \operatorname{Stab}_G(x) := \{ g\in G;\ gx=x\} \]

    von \(G\).

Beispiel A.3

Sei \(G\) eine Gruppe. Dann ist \(G\times G\to G\), \(g\bullet h:= ghg^{-1}\) eine Gruppenwirkung, die Wirkung durch Konjugation von \(G\) auf sich selbst.

Die Bahnen unter dieser Operation heißen die Konjugationsklassen der Gruppe \(G\). Den Stabilisator eines Elements \(h\in G\) unter der Konjugationswirkung nennen wir den Zentralisator von \(h\) und bezeichnen ihn mit \(Z_h\). Es gilt also

\[ Z_h = \{ g\in G;\ ghg^{-1} = h\} = \{ g\in G;\ gh = hg\} . \]

Allgemeiner sei für eine Teilmenge \(S \in G\) der Zentralisator von \(S\) definiert als

\[ Z_S = \bigcap _{h\in S} Z_h = \{ g\in G;\ gh = hg\ \text{für alle}\ h\in S\} , \]

also als die Untergruppe von \(G\) derjenigen Elemente, die mit allen Elementen aus \(S\) kommutieren. Den Zentralisator der ganzen Gruppe \(G\) nennt man das Zentrum von \(G\); dies ist ein abelscher Normalteiler in \(G\).

In der Situation der obigen Definition induziert für jedes \(x\in X\) die Abbildung \(g\mapsto gx\) eine Bijektion \(G/\operatorname{Stab}_G(x)\to Gx\). Da \(X\) die disjunkte Vereinigung aller Bahnen unter \(G\) ist, folgt insbesondere:

Satz A.4 Bahnengleichung

Sei \(G\) eine Gruppe, die auf eine endlichen Menge \(X\) operiert. Sei \(x_1,\dots , x_r\) ein Vertretersystem der Bahnen von \(X\) auf \(G\), d.h. zu jeder Bahn \(B\subset X\) in \(X\) unter \(G\) existiere ein eindeutig bestimmtes \(i\) mit \(x_i\in B\). Dann gilt

\[ \# X = \sum _{i=1}^r \# Gx_i = \sum _{i=1}^r \# (G/\operatorname{Stab}_G(x_i)). \]

Im speziellen Fall der Wirkung einer endlichen Gruppe \(G\) auf sich selbst durch Konjugation erhalten wir:

Satz A.5 Klassengleichung

Sei \(G\) eine endliche Gruppe und sei \(g_1,\dots , g_r\) ein Vertretersystem derjenigen Konjugationsklassen in \(G\), die aus mehr als einem Element bestehen. Dann gilt

\[ \# G = \# Z_G + \sum _{i=1}^r \# (G/Z_{x_i}). \]

Definition A.6

Eine Gruppenoperation heißt transitiv, wenn es nur eine einzige Bahn gibt.

A.1.2 Zyklische Gruppen

Definition A.7

Eine Gruppe \(G\) heißt zyklisch, wenn \(g\in G\) existiert mit

\[ G=\langle g\rangle = \{ g^i;\ i\in \mathbb Z\} . \]

Satz A.8

Sei \(G\) eine Gruppe. Dann sind äquivalent:

  1. die Gruppe \(G\) ist zyklisch,

  2. es gibt einen surjektiven Gruppenhomomorphismus \(\mathbb Z\to G\),

  3. \(G\) ist isomorph zu einer der Gruppen

    1. \(\mathbb Z\),

    2. \(\left.\mathbb Z\middle /n\right.\) für \(n\ge 1\).

  4. zu jedem Teiler \(d\) der Gruppenordnung \(\# G\) existiert genau eine Untergruppe \(H\subseteq G\) mit \(d\) Elementen.

Die Erzeuger von \(\mathbb Z\) sind \(1\) und \(-1\). Die Erzeuger von \(\left.\mathbb Z\middle /n\right.\) sind (für \(n {\gt} 0\)) die Restklassen von zu \(n\) teilerfremden Zahlen, also die Elemente von \((\left.\mathbb Z\middle /n\right.)^\times \).

Satz A.9

Untergruppen und Quotienten von zyklischen Gruppen sind zyklisch. Insbesondere gilt: Ist \(\varphi \colon G\to H\) ein Gruppenhomomorphismus und ist \(G\) zyklisch, so sind \(\operatorname{Ker}(\varphi )\) und \(\operatorname{Im}(\varphi )\) zyklisch.

Theorem A.10

Sei \(G\) eine endliche Gruppe. Dann sind äquivalent:

  1. die Gruppe \(G\) ist zyklisch,

  2. zu jedem Teiler \(d\) der Gruppenordnung \(\# G\) existiert genau eine Untergruppe \(H\subseteq G\) mit \(d\) Elementen,

  3. zu jedem Teiler \(d\) der Gruppenordnung \(\# G\) existiert höchstens eine Untergruppe \(H\subseteq G\) mit \(d\) Elementen.

Satz A.11

Sei \(K\) ein Körper und sei \(G\subseteq K^\times \) eine endliche Untergruppe. Dann ist \(G\) zyklisch.

A.1.3 Die symmetrische Gruppe

Wir bezeichnen mit \(S_n\) die symmetrische Gruppe »auf \(n\) Buchstaben«, also die Gruppe der Bijektionen \(\{ 1,\dots , n\} \stackrel{\sim }{\smash {\longrightarrow }\rule{0pt}{0.4ex}}\{ 1,\dots , n\} \). Aus der Linearen Algebra kennen wir den Begriff des \(r\)-Zykels, Definition LA1.8.36.

Satz A.12 Zerlegung in disjunkte Zykel

Jede Permutation \(\sigma \in S_n\) lässt sich als Produkt von Zykeln mit paarweise disjunkten Trägern schreiben. Diese Darstellung ist bis auf die Reihenfolge der Faktoren eindeutig.

Jeder Permutation \(\sigma \) können wir ihr Signum oder Vorzeichen \(\operatorname{sgn}(\sigma )\in \{ 1, -1\} \) zuordnen. Die Signumsabbildung \(S_n\to \{ 1, -1\} \) ist ein Gruppenhomomorphismus.

Definition A.13

Wir schreiben \(A_n = \operatorname{Ker}(\operatorname{sgn})\) und nennen diesen Normalteiler von \(S_n\) die alternierende Gruppe.

A.1.4 Auflösbare Gruppen

Definition A.14

Sei \(G\) eine Gruppe.

  1. Für Elemente \(g,h\in G\) heißt

    \[ [g,h] := ghg^{-1}h^{-1} \]

    der Kommutator der Elemente \(g\) und \(h\).

  2. Für Untergruppen \(H, H'\subseteq G\) bezeichnen wir mit \([H, H']\) die von allen Elementen der Form \([h, h']\), \(h\in H\), \(h'\in H'\) erzeugte Untergruppe von \(G\).

  3. Die Untergruppe \([G, G]\subseteq G\), also die von allen Elementen der Form \([g,h]\), \(g,h\in G\), erzeugte Untergruppe von \(G\), heißt die Kommutatoruntergruppe von \(G\).

Satz A.15

Sei \(G\) eine Untergruppe. Dann ist \([G, G]\) ein Normalteiler von \(G\) und der Quotient \(G_{\text{ab}} = G/[G, G]\) ist eine abelsche Gruppe und hat die folgende universelle Eigenschaft (und heißt deshalb der maximale abelsche Quotient der Gruppe \(G\)):

Ist \(H\) eine abelsche Gruppe und \(f\colon G\to H\) ein Gruppenhomomorphismus, so faktorisiert \(f\) eindeutig über \(G_{\text{ab}}\).

Definition A.16

Sei \(G\) eine Gruppe. Wir nennen \(G\) auflösbar, wenn eine Kette

\[ G = G_0 \supset G_1 \supset \cdots \supset G_r = \{ 1\} \]

von Untergruppen von \(G\) existiert, so dass für alle \(i\) die Untergruppe \(G_{i+1}\) ein Normalteiler von \(G_{i}\) ist und der Quotient \(G_{i}/G_{i+1}\) eine abelsche Gruppe ist.

Lemma A.17

Sei \(G\) eine Gruppe. Sei \(D^0G = G\), \(D^1G := [G, G]\), und allgemein \(D^iG = [D^{i-1}G, D^{i-1}G]\) für \(i \ge 1\). Dann sind äquivalent:

  1. Die Gruppe \(G\) ist auflösbar.

  2. Es existiert \(n\in \mathbb N\), so dass \(D^nG\) die triviale Gruppe ist.

Lemma A.18
  1. Sei \(G\) eine auflösbare Gruppe. Dann ist jede Untergruppe von \(G\) auflösbar.

  2. Sei \(G\) eine Gruppe und sei \(H\subseteq G\) ein Normalteiler. Dann sind äquivalent:

    1. Die Gruppe \(G\) ist auflösbar.

    2. Die Gruppen \(H\) und \(G/H\) sind auflösbar.

  3. Seien \(G_1, \dots , G_n\) Gruppen. Das Produkt \(\prod _{i=1}^n G_i\) ist genau dann auflösbar, wenn alle \(G_i\), \(i=1,\dots , n\), auflösbar sind.

Lemma A.19

Sei \(G\) eine endliche Gruppe. Dann sind äquivalent:

  1. Die Gruppe \(G\) ist auflösbar.

  2. Es existiert eine Kette

    \[ \{ 1\} = G_0 \subset G_1 \subset \cdots \subset G_r = G \]

    von Untergruppen von \(G\), so dass für alle \(i\) die Untergruppe \(G_i\) ein Normalteiler von \(G_{i+1}\) ist und der Quotient \(G_{i+1}/G_i\) eine zyklische Gruppe ist.

Satz A.20
  1. Für \(n\le 4\) sind \(S_n\) und \(A_n\) auflösbar.

  2. Für \(n {\gt} 4\) sind weder \(S_n\) noch \(A_n\) auflösbar.

A.1.5 Die Sylow-Sätze

Definition A.21

Seien \(p\) eine Primzahl und \(G\) eine endliche Gruppe. Wir nennen \(G\) eine \(p\)-Gruppe, wenn die Ordnung von \(G\) eine Potenz von \(p\) ist.

Satz A.22

Jede \(p\)-Gruppe ist auflösbar.

Definition A.23

Sei \(G\) eine endliche Gruppe und sei \(p\) eine Primzahl. Sei \(\# G = p^r m\) mit \(p\nmid m\). Unter einer \(p\)-Sylow-Untergruppe von \(G\) verstehen wir eine Untergruppe \(H\subseteq G\) mit \(\# H = p^r\).

Mit anderen Worten ist also eine \(p\)-Sylow-Untergruppe von \(G\) eine Untergruppe \(H\) von \(G\), die eine \(p\)-Gruppe ist und so dass \(\# G/H\) nicht durch \(p\) teilbar ist.

Beispiel A.24

Seien \(n\in \mathbb N\), \(p\) eine Primzahl und \(G= GL_n(\mathbb F_p)\). Die Untergruppe \(U\) der oberen Dreiecksmatrizen, deren Diagonaleinträge alle \(=1\) sind, ist eine \(p\)-Sylow-Untergruppe von \(G\).

Satz A.25 Sylow-Sätze

Sei \(G\) eine endliche Gruppe und sei \(p\) eine Primzahl.

  1. Die Gruppe \(G\) besitzt eine \(p\)-Sylow-Untergruppe.

  2. Je zwei \(p\)-Sylow-Untergruppen von \(G\) sind zueinander konjugiert.

  3. Sei \(s_p\) die Anzahl der \(p\)-Sylow-Untergruppen von \(G\). Dann gilt

    \[ s_p\, |\, \# G\quad \text{und}\quad s_p\equiv 1 \mod p. \]

Korollar A.26

Sei \(G\) eine endliche Gruppe und sei \(p\) eine Primzahl.

  1. Jede Untergruppe von \(G\), die eine \(p\)-Gruppe ist, ist in einer \(p\)-Sylow-Untergruppe enthalten.

  2. Eine Untergruppe \(H\) ist genau dann eine \(p\)-Sylow-Untergruppe von \(G\), wenn \(H\) eine \(p\)-Gruppe ist und es keine Untergruppe von \(G\) gibt, die eine \(p\)-Gruppe ist und \(H\) als echte Untergruppe enthält.